Gerade neigt sich die Frankfurter Buchmesse 2022 ihrem Ende entgegen. Die Buchwelt verabschiedet sich wieder – man wird sich in einem halben Jahr in Leipzig wiedersehen. Ich nehme viele Eindrücke mit, entstanden bei Podiumsdiskussionen, Moderationen und auch in kleineren Runden, bei geplanten und zufälligen Gesprächen mit verschiedensten Personen. Ein besonderer Gedanke, der mich dabei begleitet: Sind Messen wie die FBM eine Brücke für Buch und Literatur? Waren sie es vor der Pandemie? Was fehlt ihnen trotz all der schönen Momente und klugen Worte?
Endlich wieder Buchmesse
Vier Tage Messe liegen hinter mir, nach den ruhigen Tagen für Fachbesucher*innen war ich auch am Freitag und kurz auch am Samstag auf dem Messegelände. Ich war gerade an den letzten beiden Tagen dankbar für meine Maske und jede*n, die*r ebenso eine trug, und hätte mir ein konkreteres Hygienekonzept seitens der Messe gewünscht. Doch zurück zum Anfang: Nach drei Jahren ohne Messe (den Ausrutscher im Vorjahr zählen wir mal nicht) war die Stimmung an allen Messetagen vor allem eine: Endlich wieder Messe. Endlich wieder über Bücher reden, Autor*innen und Verantwortliche in der Verlagsbranche treffen.
Mich mit anderen Menschen zu treffen ist zwar jedes Mal ein echter Krampf, aber gerade in der Buchbranche fällt es mir etwas leichter, Gespräche mit mir (noch) unbekannten Leuten zu beginnen. Gemeinsame Themen sind gegeben und – no offence but – die meisten sind eh auch ein bisschen weird, was den Gesprächseinstieg vereinfacht.

Übersetzungen als Brücke zwischen Sprachen
Nie zuvor habe ich mir dabei so viele Gedanken über Übersetzungen gemacht. Froh und dummerweise auch ein bisschen stolz, dass ich die Übersetzer*innen von den Büchern, die nicht original im Deutschen erschienen sind, bereits in meine Buchbesprechungen inkludiere, habe ich dazu in diesem Jahr vieles neues gelernt. Wie wichtig sie sind, um ein Leseerlebnis in andere Sprache zu transferieren. Dann die Gefühle, die Autor*innen dabei haben, wenn sie die Zielsprache selbst nicht beherrschen und sich darauf verlassen müssen, das eine andere Person sich so tief in ihre Sprachwelt begeben kann, dass die Übersetzung der Geschichte und den Figuren angemessen wird. Übersetzen ist eine Kunst für sich, findet nur leider nach wie vor zu wenig Raum und Anerkennung. Die schöne Metapher der Übersetzung als Brücke zwischen den Sprachen – und damit als Brücke zwischen Menschen – wird mich mit Sicherheit noch eine Weile begleiten, während ich darüber nachdenke.
Eines meiner Highlights: Der Geburtstagstalk des Diogenes-Verlag
70 Jahre Diogenes hieß es am Messe-Donnerstag und ich bin sehr glücklich, dass wir diese Veranstaltung nicht ausgelassen haben. Der Frankfurt-Pavilion auf der Agora des Messegeländes ist an sich schon architektonisch spannend – beeindruckender wurde es auf der kleinen Bühne dann aber dennoch. Mit Shelly Kupferberg, Andrej Kurkow, Donna Leon, Ingrid Noll, Stefanie vor Schulte, Solomonica de Winter, Irene Vallejo und Benedict Wells hatte der Diogenes-Verlag für seinen Geburtstagstalk eine wahre Starriege an Autor*innen dabei. Moderiert wurde das Gespräch von Denis Scheck, der Diogenes-Verleger Philipp Keel, die Autor*innen und das Publikum mit seiner wunderbaren Art für sich einnehmen konnte.
Und da waren wir auch wieder beim Thema Übersetzungen, wenn auch diesmal noch mit einer zusätzlichen Perspektive. „When I started writing it was a possibility to translate my inner world“, sagte Autorin Solomonica de Winter während der Diskussionsrunde. Ihr Roman “Das Gesetz der Natur” (aus dem Amerikanischen von Meredith Barth übersetzt) erschien am 28. September 2022. Der dystopische Zukunftsroman ist auch eine Homage an Buchwelten, die sie selbst inspiriert haben – auch eine Form der Übersetzung.

„Writing is a form of seduction“ – Donna Leon
Eine der schönsten Aussagen aus der illustren Diogenes-Runde kam jedoch von Krimi-Königin Donna Leon. “Writing is a form of seduction”, antwortet sie auf die Frage hin, was das Schreiben für sie bedeutet. Und Recht hat sie, denn die Kunst eines guten Buches besteht auch darin, seine Lesenden in den Bann zu ziehen. Dafür muss ich eine Figur nicht zwangsläufig sympathisch finden. Vielmehr muss da eine Faszination sein, eine Neugier oder Anziehungskraft, die dafür Sorge trägt, dass man alles um sich herum vergessen möchte.
Und diese Neugier ist auch für die Autor*innen selbst von Nutzen. So zumindest sieht es Bestsellerautor Benedict Wells, der am Tag nach dem Diogenes-Talk für seinen Roman “Hard Land” mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2022 in der Kategorie Preis der Jugendjury ausgezeichnet wurde. „Was mich zurück geholt hat, war immer die Geschichte, waren immer die Figuren und die Neugier, wie es ihnen geht”, sagt Benedict Wells darüber, warum er auch bei Zweifeln weiter schreibt.
Endlich wieder Veranstaltungen für Blogger*innen
Netzwerken, Ideen austüfteln und natürlich Leute treffen waren generell an der Tagesordnung der Messetage. Es war spannend, nach allen digitalen Previews der letzten zweieinhalb Jahre, wieder vor Ort in die kommenden Verlagspublikationen zu gucken. Und soviel sei verraten: Es wird spannend, denn alles klingt einfach vielversprechend und von Diogenes über Piper, Carlsen, Fischer und Penguin Randomhouse haben die Verlage einiges geplant in den kommenden Monaten.

Spannend waren auch die verschiedenen Randveranstaltungen für Blogger*innen, die ich besuchen konnte. Ob das die Buchparty für Anna Bennings “Dark Sigils” war, organisiert von den Fischer-Verlagen und der Agentur Ehrlich&Anders, oder das gemeinsame Frühstück mit Kathinka Engel, Carina Schnell, Justine Pust und Laura Labas, organisiert von Piper (und Everlove). Es gab viel Zeit zum Netzwerken, Gespräche mit den Autorinnen und natürlich durchweg gutes Essen.
Die Schattenseite der Buchmesse
Die Frankfurter Buchmesse 2022 war also mal wieder ein Lesefest. Eine Homage an das Buch, egal in welcher Form. Schade nur, dass nach wie vor nicht alle mitfeiern können. Denn nach wie vor sind rechte Verlage nicht nur Teil der Messe, sondern erhalten auch noch immer prominente Plätze in den Messehallen. Und sie haben ihre menschenverachtende Hetze im Gepäck – vielleicht sogar etwas publikumsfähiger als zu anderen Gelegenheiten. Und die Messe gibt ihnen weiterhin Raum, nennt es Meinungsfreiheit. Wie wenig das aber tatsächlich damit zu tun hat, habe ich zur letztjährigen FBM schon einmal beschrieben. Auch in diesem Jahr haben daher diverse Autor*innen entschieden, zu Gunsten ihrer Sicherheit auf die Buchmesse zu verzichten.
Und das ist einfach nicht okay.
Ich würde mir sehr wünschen, wenn die Messe sich hier endlich zu einem Signal durchringen könnte. So aber werden weiterhin kluge Meinungen nicht gehört, weil sie nicht auf dem wohl wichtigsten Branchenevent des deutschsprachigen Raumes stattfinden.
Immerhin ein gutes Zeichen waren die vielen Veranstaltungen mit queeren Themen, vor allem in der Jugendliteratur (wie z. B. das Panel mit Marie Grashoff und Sarah Sprinz). Dazu die Auszeichnung von Kim de l’Horizons “Blutbuch” mit dem Deutschen Buchpreis. All das sind schöne und wichtige Signale, die die Messe setzt – nur brauchen wir mehr davon.

3 comments