“Liest du mein Buch auch, wenn es keinen Farbschnitt hat?”

Okay, wir müssen reden. Über farbige Buchschnitte. Ob glitzergold, Farbverlauf oder mit Motiv – es gibt sie seit einiger Zeit en masse. Auf der Frankfurter Buchmesse habe ich das Thema Farbschnitt als Verkaufsargument mehr als einmal besprochen – mit unterschiedlichsten Leuten in unterschiedlichsten Funktionen. Hatte ich vorher das Gefühl, dass es schade ist, dass sie durch die übermäßige Präsenz der Neuerscheinungen gerade ihre Besonderheit für mich verlieren, bin ich jetzt ein bisschen wütend. Und das hat seinen Grund.

Doch kurz zurück: Farbige Buchschnitte. Damit sind die drei Seiten eines Buches gemeint, an denen ein Buch geöffnet werden kann. Ist ein Buch zugeklappt, sieht man diesen – und natürlich kann man ihn dann auch dekorieren. Daran ist nichts falsch. Hat es auch gefühlt immer schon gegeben. Es gibt sogar Leute, die sowas als Hobby zuhause machen – mit den Büchern aus ihren Bücherregalen und dabei echte Kunstwerke kreieren.

Gotta catch ’em all? Farbschnitte sammeln oder Bücher lesen?

Natürlich habe ich auch farbige Buchschnitte und ja, ich kaufe auch Bücher mit Absicht in der Erstauflage, weil ich eben diesen Farbschnitt haben möchte – obwohl ich genau weiß, dass ich es in den kommenden Wochen (und manchmal vielleicht auch Monaten) nicht schaffen werde, dieses Buch zu lesen. Mich stört auch gar nicht die Existenz des farbigen Buchschnitt. Sie werden nur offenbar von den Leuten inzwischen erwartet. Und diese Attitüde, die ist es, die mich nervt. Wenn mich Autor*innen auf der Messe in einem Gespräch fragen, ob ich ihr demnächst erscheinendes Buch lesen werde, da es keinen Farbschnitt hat – oder sie allgemein fürchten, weniger Bücher zu verkaufen, weil in der Kalenderwoche ihres Erscheinungstermins mehrere Bücher mich Farbschnitt publiziert werden – und sich die Lesenden dann vielleicht eher für diese entscheiden. Auch mal in Richtung Bestsellerliste gedacht, ist das mitunter eine echte Schwierigkeit.

Und again – auch hier finde ich mich wieder. Wie ich mir mitunter denke “Ach, das Buch kannst du später mal kaufen, wenn du realistisch Zeit hast, es auch zu lesen – es hat ja keinen Farbschnitt in der Erstauflage.” Immerhin: Ich kaufe keine Bücher, nur weil sie einen farbigen Buchschnitt haben. Das es Leute gibt, die auch das tun, nur um diese Erstausgaben dann gewinnbringend weiterzuverkaufen…davon fange ich hier lieber gar nicht an. (Für eure Ärsche ist ein ganz besonderer Platz in der Hölle reserviert!) Aber mal im Ernst: Es geht doch um die Bücher – oder sind wir am Ende nur f*cking Pokemon-Trainer*innen, auf der Suche nach dem schönsten Buchschnitt – gotta catch ’em all?

Bücher “zweiter Klasse” – was der Hype mit dem Lesen macht

Tatsächlich ist es doch so: Farbschnitte sind cool. Aber sie sollten auch etwas besonderes bleiben. Denn andernfalls passiert, was gerade passiert: Die Leute verlangen gerade danach.

Aber es passiert auch mehr: Bücher, die keinen farbigen Buchschnitt haben, wirken schnell so, als wären sie nicht wichtig genug, als würden Verlage nicht an ihren absoluten Erfolg glauben. Ich versuche mir vorzustellen, wie sich das für Autor*innen anfühlen muss: Da hast du ein Buch geschrieben. Du hast verdammt viel Arbeit reingesteckt, Dinge hundertfach überarbeitet, musstest mit Sicherheit auch Sätze, Abschnitte und ganze Szenen oder Kapitel streichen, weil sie am Ende nicht mehr gepasst haben. Kurzum: Es floss so viel Herzblut hinein und voller Stolz ist die Belohnung eine Veröffentlichung. Nur damit du dich dann fragen musst, warum es keinen Farbschnitt hat.

Klingt jetzt irgendwie sehr dramatisch und ich glaube auch nicht (oder hoffe!), dass alle so denken. Aber ich habe das komische Gefühl, dass wir uns in so eine Richtung bewegen und hoffe allein deshalb, dass der Trend wieder abnimmt. Denn, und das ist ein Punkt, den ich bisher nur marginal betrachtet habe, es gibt ja nicht nur Verlage, die Bücher publizieren. Es gibt auch noch die Selfpublisher*innen. Und die unfassbaren Mehrkosten, die solche Spezialpublikationen den Selfpublisher*innen bedeuten, kann ich mir nicht einmal vorstellen.

Was lernen wir daraus?

Natürlich wäre es schön, wenn es wieder mehr um das Buch an sich gehen würde. Denn der Inhalt ändert sich ja nicht, nur weil es eine noch hübschere Verpackung hat. Und klar könnten wir diese Debatte jetzt auch noch zum Thema Buchcover führen. Aber das sehe ich tatsächlich etwas anders. Das sollte nämlich schon aussagekräftig, zum Titel passend und irgendwie auch ästhetisch sein – farbige Buchschnitte hingegen sind ein nice to have, ein Addon, das etwas besonderes sein sollte und kein grundsätzliches Verkaufsargument.

Gleiches gilt übrigens auch für das Thema Charakterkarten und Artworks, die inzwischen geradezu erwartet werden. Aber wer Bilder angucken will, sollte eine Graphic Novel in Erwägung ziehen. Oder eben Artworks kaufen – Es gibt so viele großartige Künstler*innen da draußen, die verflucht schöne Artworks zu Büchern erstellen. Wenn Autor*innen oder Verlag so etwas in Auftrag geben, um es der Erstauflage oder einer Signieraktion beizulegen, ist das eine unglaublich nette Geste. Keine Notwendigkeit und erst recht keine Selbstverständlichkeit.

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