Toleranz für Intoleranz? Wenn deine Kindheitsheldin transfeindlich ist

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass bereits mit der Überschrift des Artikels klar ist, um wen es hier gehen soll. Oder ist das meine Bubble-Denke?
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Fest steht: Harry Potter hat mich die letzten zwanzig Jahre meines Lebens begleitet. Das sind fast zwei Drittel meiner Anwesenheit auf diesem Planeten. Ich würde lügen, würde ich behaupten, nie nach einer Eule Ausschau gehalten zu haben, die mir meinen Hogwarts-Brief bringt. Oder wissen zu wollen, welche Form mein Patronus annimmt. Um nur zwei Beispiele zu nennen. Daher tut dieser Artikel auch ein bisschen weh.

Die vielen Ebenen einer Debatte – Toleranz für Intoleranz?

Lange Zeit habe ich versucht, die von J. K. Rowling geäußerten Worte, diese Meinung, die sie damit vertritt, in einen Kontext zu rücken. Ein komplettes Bild zu erzeugen. Aber eigentlich ist das egal. Längst kann sie sich nicht mehr damit rausreden, dass sie einfach nur einseitig informiert ist und zu sehr von ihren eigenen Erfahrungen auf einen allgemein gültigen Kasus schließt. Klar, sie steht offen gegen Rassismus ein, hat 2015 die britische Regierung um Aufnahme von mehr Geflüchteten gebeten und hat eine eigene Hilfsorganisation gegründet. Sie ist also das, was wir gemeinhin einen guten Menschen nennen. Aber ist sie das, wenn es ihr so schwer fällt, anzuerkennen, dass es Menschen gibt, die trans, nonbinär, oder genderfluid sind?

If these books taught you that love is the strongest force in the universe, (…) if they taught you that strength is found in diversity, (…) if you believe that a particular character is trans, nonbinary, or gender fluid, or that they are gay or bisexual (…) — then that is between you and the book that you read, and it is sacred. And in my opinion nobody can touch that.

Daniel Radcliffe, The Trevor Project

Vielleicht ist die Frage nicht richtig gestellt, denn das Leben ist kein Disney-Film, es gibt nicht nur gute und böse Menschen. Aber ihre Sicht auf dieses Thema zeigt, dass sie kein toleranter Mensch ist. Verrückt, wenn man bedenkt, dass sie gemeinsam mit den Schriftsteller*innen Salman Rushdie und Margaret Atwood einen offenen Brief unterschrieben hat, in dem vor Intoleranz gewarnt wurde. Und davor, dass die Bereitschaft, andere Meinungen zu tolerieren, stetig abnimmt. Liebe J. K. Rowling, das ist ein Missverständnis: Toleranz muss keine Intoleranz tolerieren – das ist das Toleranz-Paradoxon.

Oder anders ausgedrückt: In einer freien Welt können wir alle unsere Meinung äußern – müssen aber auch damit umgehen können, wenn andere diese Meinung nicht teilen oder sogar angreifen. Und wer sich auf nötige Toleranz beruft, nachdem selbst Intoleranz verübt wurde, macht sich lächerlich.

Der andere Blickwinkel

Es stört mich noch ein anderer Aspekt an diesem Thema. Denn in ihren Reaktionen erklärt die Autorin ausgiebig, dass es ja klar wäre, dass sie nun als Frau unterdrückt würde. Sie aberkennt trans Frauen also nicht nur ihre Daseinsberechtigung, sie schließt sie aus dem “Zuständigkeitsbereich” der feministischen Bewegung aus. Damit steht sie nicht allein da, denn leider gibt es viele Feminist*innen, unter dem Begriff TERF (Trans-Exclusionary Radical Feminism) zusammengefasst, die hier ein Verständisproblem haben. Linus Giese hat zu diesem Thema einen Artikel im Tagesspiegel geschrieben, dem eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist. Wie weit das aber reichen kann, zeigte eine Plakataktion im Anschluss an die Reaktionen auf J. K. Rowlings Äußerungen (Queer.de berichtete)

Was mich, abgesehen von dem ganz konkreten Thema, an dieser Einstellung so unfassbar nervt, ist dass sie damit Feminismus kaputt macht. Es geht dabei nicht (nur) um sie als inzwischen privilegierte weiße Frau. Denn diese Frau hat offenbar vergessen, wie es weiter unten mal gewesen ist. Und sie hat offenbar nicht verstanden, dass ihr eigenes “weit unten” noch immer weit über vielen anderen Menschen steht, die Feminismus mitdenkt und -meint. Gerade wenn Klassismus, Rassismus, Ableismus und Transfeindlichkeit intersektional wirken. Sie als Frau ist eben nicht automatisch feministisch, egal welchen Müll sie so von sich gibt. So funktioniert es nicht.

Was bedeutet das für Harry, Hogwarts und – mich?

Die Konsequenzen davon tragen wir alle: Jene Fans, die trans, nonbinär, oder genderfluid sind und sich nun in dieser magischen Welt nicht mehr willkommen fühlen, allen voran. (Das zeigt übrigens dieser Artikel auf Buzzfeed sehr schön, in dem verschiedene Reaktionen gesammelt wurden.) Dabei machen die Fans diese Welt so lebendig. Ja, J. K. Rowling hatte eine tolle Idee, aber es waren die Fans, die diese auf das Level gehoben haben, auf dem es seit über zwanzig Jahren existiert. Hogwarts gehört uns allen.

Oder um es mit den wundervollen Worten von Daniel Radcliffe zu sagen, der sich wie viele andere Schauspieler*innen gegen J. K. Rowlings Ausagen stellte und für The Trevor Project schrieb: “Wenn diese Bücher euch gelehrt haben, dass Liebe die stärkste Kraft im Universum ist, (…) wenn sie euch gelehrt haben, dass Stärke in der Vielfalt zu finden ist, (…) wenn ihr glaubt, dass eine bestimmte Figur trans, nonbinär oder genderfluid ist, dass sie schwul oder bisexuell ist (…) – dann ist das eine Sache zwischen euch und dem Buch. Und meiner Meinung nach kann das niemand zerstören.”

Ob es J. K. Rowling gefällt oder nicht: Viele Fans nehmen ihren Ausspruch “Hogwarts is always be there to welcome you home” verdammt ernst. Und sie sind überzeugt, dass dieser Spruch für alle und jede*n gilt. Ausnahmslos. Was hingegen schwer fällt oder eigentlich unmöglich ist, ist die Autorin und ihre Denke vom Werk zu trennen.

Was also nun?

Ich für meinen Teil kann Werk und Autorin nicht trennen, will es auch gar nicht. Denn es fühlt sich an, als würde ich alles verraten, wofür ich einstehe. Diese Frau gehörte fast zwei Jahrzehnte zu einem meiner wichtigsten Vorbilder, ihretwegen schreibe ich selbst. Und da einen Schlussstrich zu ziehen, tut richtig weh. Aber es fühlt sich auch richtig an. Notwendig. Denn wir reden hier nicht davon, dass sie Countrymusik mag. Oder glaubt, dass die Erde flach ist. Sie spricht Menschen ihre Existenz ab.

Für mich bleiben daher am Ende vor allem zwei Gedanken: Es besser machen als sie und Menschen weder ihre Würde noch ihre grundsätzliche Daseinsberechtigung aberkennen. Und: Sie nicht weiter finanziell zu unterstützen und Leute aufklären, die es geschafft haben, die Diskussion der letzten Monate auszuklammern.

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