Kann es zu viel LGBTQIA+ in Romanen geben?

Vor einer Weile habe ich mal wieder den Kardinalsfehler begangen und bin zu tief in Bewertungen einiger einschlägiger Buchplattformen hinabgestiegen. Es ist ein bisschen wie Twitter: Anfangs noch ganz lustig, zwischendrin zum Kopfschütteln und spätestens, wenn ich auf einen anderen Planeten auswandern möchte, weiß ich, dass ich mal wieder zu lange gescrollt habe. Dabei verfolgt das Lesen von Rezensionen anderer Menschen ja sogar ein sinnvolles Ziel, nämlich die eigene Meinung zu einem Buch nochmal zu hinterfragen.

An besagtem Sonntagnachmittag las ich mal wieder einen Kommentar, der mich so ähnlich schon bei einer Bewertung von Laura Kneidls “Someone”-Reihe genervt hatte. Dessen Inhalt? Das rezensierte Buch wäre “unglaubwürdig”, weil “einfach zu viele ” nicht-heteronormative Paare darin vorgekommen wären. Ich fragte mich unwillkürlich: “Kann es zu viel LGBTQIA+ in Romanen geben?”

Die fehlende Gleichnisformel für Engstirnigkeit

Gibt es dafür eine Formel, die ausrechnet, auf wie viele heteronormative Figuren eine trans Person oder ein schwules Paar kommen darf? Ich wollte über diesen Kommentar lachen, zeigt er doch herrlich deutlich die fragile Weltanschauung vieler heterosexueller Menschen. “Hilfe, ich kann mich gar nicht mit 100 Prozent der Figuren identifizieren, wie bewerte ich das denn?”, scheinen sie zu rufen. Dabei hätten sie bestimmte Figuren vermutlich gar nicht weiter beachtet, wenn sie heteronormativ händchenhaltend hinter der Kreuzung verschwunden wären. Und niemand hätte dann je gesagt, jene Figur hätte nach dem Lesen des Buches einen anderen Menschen aus ihr:m gemacht.

Ich habe das Buch selbst gelesen und es gibt natürlich keine Grenze, die irgendwo sinnvoll zwischen “das ist okay” und “ab hier wird’s unglaubwürdig” gezogen werden kann. Dazu gibt es in besagtem Buch (ich erwähne den Titel mit Absicht nicht, denn ist auch Teil der Handlung, die Entwicklung einiger Charaktere zu verfolgen) ein lesbisches Paar, einen schwulen Nachbarn und eine junge Person, die im Laufe der Handlung bemerkt, dass sie trans ist. Wo auch immer sich also scheinheilig eine Grenze für LGBTQIA+ in Romanen ziehen ließe – da ist sie garantiert nicht. Guten Morgen, Heteronormativität.

Der Umkehrschluss: Die Unterrepräsentanz beenden

Für mich gibt es eigentlich nur eine logische Schlussfolgerung – neben der Tatsache, dass manche Menschen einfach zu gern in ihrem “traditionellen Selbstbild” verweilen und sich nicht öffnen wollen: Es muss mehr geben. Mehr Bücher, die, wenn schon heterosexuelle cis-Figuren als Protagonist*innen, dann wenigstens eine Vielzahl interessanter Nebenfiguren haben, um das Spektrum von Gender & Affection abzubilden.

Don’t get me wrong: Als heterosexuelle cis-Frau projiziere auch ich meine eigene Wahrnehmung und eigene Erfahrungen erstmal auf Charaktere in Büchern. Und so geht es natürlich auch Autor*innen, die Bücher veröffentlichen. Das ist erstmal auch okay, denn über etwas zu Schreiben, das man nicht selbst erfahren hat oder nicht selbst fühlt, erfordert viel Recherche. Es erfordert viel Reden mit anderen Menschen und entsprechendes Sensibility-Reading. Es ist daher auf diese Art dem Schreiben von BIPoc-Charakteren in Büchern nicht ganz unähnlich. Auch hier fehlt es weißen Autor*innen in aller Regel an Erfahrung, um nicht wesentliche Aspekte zu übergehen oder knietief in Klischees zu versinken.

Daher sind zwei Aspekte absolut wesentlich: Bücher von Autor*innen, die hier aus erster Hand erzählen können, gehören sichtbarer platziert. Ohne Frage muss es generell mehr dieser Own-Voice-Bücher geben, das merken zum Glück auch die Verlage. Aber auch die bestehenden Bücher brauchen mehr Aufmerksamkeit. Und last but not least: Allies müssen sich ebenfalls stärker damit beschäftigen. Damit mehr und mehr Menschen in dem Wissen aufwachsen, dass es kein “einfach zu viel” LGBTQIA+ in Romanen gibt.

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