Menschen sagen dumme Dinge, manche sogar echt gern und vor allem: oft. Mitunter ist es ziemlich egal, dass sie das tun. Manchmal tun sie das in einer echt ungünstigen Situation oder in einem Moment, in dem ich am Nebentisch sitze und vor lauter Fremdschämerei im Boden versinken möchte. Das ist dann alles nicht dramatisch, auch wenn ich darauf hinweisen möchte, dass die Situation in dem Café wirklich sehr unangenehm war, denn wir sind Menschen und das ist irgendwie lateinisch für “wir sagen dumme Dinge“.

Es wird dann schwierig, wenn es sich um Fake News handelt. Um Verschwörungstheorien und Populismus, und die Aussagen von “Menschen des öffentlichen Interesses” stammen. Von Politiker*innen und jenen, die glauben, dass sie welche sind, von bekannten Schauspieler*innen und anderen Leuten, die viel Reichweite haben, und denen andere Menschen zuhören. In Sarah Bosettis neuen Buch “Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!” gibt es auf solche Aussagen Antworten. Antworten in Form von Gedichten und Briefen.

“Denn das Problem ist ja: Es geht weiter.” – Sarah Bosetti

Sarah Bosetti kennen die meisten inzwischen vermutlich vor allem durch ihr Format “Bosetti will reden“, das mittwochs in der ZDFmediathek (und u. a. auch auf Instagram) verfügbar ist. Darin beschäftigt sie sich mit aktuellen politischen Debatten – oder dem, was die Leute gerade so bewegt. In herrlicher Slam- und Kabarett-Manier nimmt sie dabei ihre Themen klug und pointiert auseinander. Und ist dabei auch noch lustig.

Witzig aber eben auch authentisch und charmant ist sie übrigens auch live und nicht ausschließlich vor der Kamera oder in ihren Texten. Und egal wie geskriptet die Veranstaltungen auch sein mögen, es wirkte bisher jede ihrer Lesungen so spontan als säße man bei veganen Eierkuchen und Wein zum Plausch zusammen.

In ihrem neuen Buch beschäftigt sich Sarah Bosetti also mit Populismus. Oder um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: “Die größte Gefahr für die Menschheit sind nicht Klima, Krieg und Katastrophen, sondern der Populismus.” (S. 10, “Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!”) In ihrem Buch beantwortet sie diesen mit Gedichten und Briefen an die Zitategeber*innen. Dabei hat sie sich ein breites Feld ausgesucht: Von Klassismus über Covid-19, Klimaschutz und Männer gegen Frauen, bis hin zu Putins Krieg in der Ukraine, Rassismus und Zuwanderer*innen. Ob dabei Trägerrakete Boris Johnson, TERF-Königin Alice Schwarzer oder Jimi-Hendrix-Fan Thomas Gottschalk – die Gäst*innen ihres Buches sind so bunt wie die Themen (auch wenn einige von ihnen das mit dem bunt nicht so verstehen).

Klappentext von “Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!”

“Sarah Bosetti hat einen Weg gefunden, die Demokratie zu retten: mit Poesie gegen Populismus! Wohin man schaut: Weltuntergang. Doch Klimawandel, Krieg und Krisen wären zu meistern, wenn die Menschen ihnen mit ehrlicher Vernunft begegnen würden. Im Kampf gegen Fake News, Diskriminierung und Diskursverschiebung nimmt Sarah Bosetti sich einige der schönsten, schlimmsten oder absurdesten populistischen Aussagen bekannter Persönlichkeiten vor – von Alice Schwarzer über Olaf Scholz bis Wladimir Putin – und beantwortet sie mit klugen, bissigen und witzigen Gedichten.” (Quelle)

Ein Buch, das mir aus der Seele spricht?

Ich könnte jetzt sagen, dass Sarah Bosetti erneut ein Buch geschrieben hat, in dem sie mir aus der Seele spricht. Aber das wäre natürlich Quatsch, weil mir selten so kluge und eloquente Dinge einfallen, wenn Menschen vor sich hin populieren – oder populistizieren? Meistens öffnet mein Kopf dann eher so das Programm “beruhigendes Rauschen“. Manchmal bin ich sogar ein kleines bisschen begeistert von der Kreativität dieser Aussagen – wenn sie doch nur nicht so gefährlich dabei wären. Aber nie könnte ich diese Kommentare so scharfsinnig und witzig zerlegen und dabei auch noch Kunst schaffen. Daher nein, Sarah Bosetti spricht mir (leider) nicht aus der Seele. Und dennoch trifft sie den Nagel auf den Kopf mit jedem einzelnen Wort.

Wir können handeln, und wir wissen in den meisten Fällen sogar, was zu tun ist. Fast alle Krisen sind zu meistern, wenn wir ihnen mit ehrlicher Vernunft begegnen – was mir mit beeindruckender Konsequenz nicht tun.

Sarah Bosetti, “Wer Angst hat, soll Zuhause bleiben!”

In knapp 60 Gedichten und Briefen zeichnet Sarah Bosetti ein eigentlich echt trauriges Bild vom populistischen Status Quo. Während der Lesung zur Buchpremiere sagte sie selbst “Das Problem ist ja: Es geht weiter.” Und auch hiermit hat sie leider recht. Wohl kaum jemand der im Buch zitierten Menschen wird sich nun denken “Ach so ist das! Na dann denke ich wohl künftig besser nach, ehe ich was sage”, und dann eben nichts mehr sagen. Aber Sarah Bosetti kämpft “mit allem was sie hat: mit Poesie” dagegen an. Und vielleicht können wir uns davon alle eine kleine Scheibe abschneiden. Auch wenn wir es mit Sicherheit nicht mit dieser unvergleichlichen Mischung aus Intelligenz, Witz und Charme rüberbringen werden.

* Das Rezensionsexemplar von “Wer Angst hat, soll zuhause bleiben!” wurde mir freundlicherweise von Rowohlt kostenfrei zur Verfügung gestellt. Dies hat meine Meinung jedoch nicht beeinflusst.