Warum wir nicht jeden Tag die Welt retten können – und das trotzdem okay ist

Als ich heute gemäß einer von mir selbst erstellten freundlichen Erinnerung, mal wieder meinen Entwürfe-Ordner im E-Mail-Postfach aufzuräumen, auf genau diese Todo aufmerksam geworden bin, habe ich, nunja, eben meinen Entwürfe-Ordner aufgeräumt. Da ich dort oft irgendwelche Ideen für später, nebst Einkaufslisten etc. ablege, ist das immer eine lustige Sache, wenn ich dann diverse wochenalte Notizen finde. Oft erinnere ich mich sogar daran, wie ich mir in solchen Momenten gedacht habe: “Ah der Gedanke ist witzig, schreib den mal auf” – nur um mir dann Wochen später zu denken: wtf Gehirn, wirklich?

Auch heute habe ich – quelle surprise – eine weitere E-Mail entdeckt. Daran ist jetzt natürlich nichts merkwürdiges, denn genau dort sollen sie sein. Diese E-Mail katapultierte mich jedoch recht unsanft zurück in den Sommer diesen Jahres, zurück zu einem Moment, den ich bis dato vergessen hatte.

Wissenschaftliche Tiefe vs. gendersensible Sprache?

Im Sommer habe ich ein wissenschaftliches Essay über die Relevanz von strategischer Kommunikation bei der Investor*innen-Suche geschrieben. Am vorgesehenen Abgabetag war ich nicht wirklich zufrieden mit meinem Ergebnis – ich nahm mir vor, den Text mit dem Feedback meiner Betreuer*innen zu überarbeiten und dann ggfs. später mal in neuer Fassung zu veröffentlichen. Für diesen Moment ging es nämlich eh nur um eine Abschlussnote für eine Weiterbildung, die ich schon viel zu lange vor mir herschob. (Und auf die ich aus diversen Gründen nur so mäßig viel Lust hatte.)

Unzufrieden war ich auch nicht mit dem Thema oder dem, was ich geschrieben hatte. Das ich unzufrieden mit dem Text war, lag vor allem an der Länge, denn ich kratzte gefühlt von Seite eins an bereits an der Maximalzeichenzahl. Und damit meine ich nicht, dass ich keinen Platz für schöne und ausschmückende Worte hatte – die haben in Essays eh eher selten Raum. Ich konnte meine empirische Studie nicht halb so genau erklären, wie ich es gern getan hätte, da mir der Platz fehlte. Wie immer wollte ich außerdem zu viele Perspektiven abdecken, musste aufpassen, dass ich dabei nicht zu deskriptiv wurde und die Ableitungen nicht vergaß. (Etwas, das mir sehr häufig passiert, weil ich oft vergesse, dass meine Schlussfolgerungen nicht auch die anderer sein müssen; ich arbeite daran, aber es ist ein kompliziertes Umdenken.) Ich hatte mich außerdem dafür entschieden, in meiner Arbeit zu gendern. 

Verrückterweise nahm das auch den Großteil des Feedbacks meines wissenschaftlichen Betreuers ein: Ich hätte mehr Platz gehabt, noch weitere Themen zu besprechen, wenn ich nicht gegendert hätte. Zumal es in der Branche ja auch von den Tatsachen ablenken würde und quasi überflüssig wäre, da es ja eh kaum Gründerinnen geschweige denn Investorinnen gäbe. Ich würde also in meiner Arbeit Platz an eine Gruppe verschwenden, die es gar nicht gab. Bäm.

Ein Eimer kaltes Wasser und eine vergessene e-Mail später

Ich fühlte mich, als hätte jemand einen Eimer kalten Wassers über mir ausgekippt. Ich laß den Text nochmal, vielleicht hatte ich mich ja einfach nur verlesen. Der Text blieb jedoch auch nach mehrmaligem Blinzeln so stehen. Viel zu oft las ich dieses Feedback, dann steckte ich das Blatt zurück in den Umschlag (ja, das kam wirklich per Post) und diesen in eine Schublade. Ich war wütend, enttäuscht und zu meiner eigenen Überraschung auch entsetzt. Mir war egal, dass er aus rein wissenschaftlicher Sicht vielleicht Recht hatte. Nein das stimmt so nicht: Ich habe das Dokument mit meinem Essay direkt geöffnet, alle “Mehrzeichen” durch das Gendern addiert und hätte unfassbare dreihundert Zeichen mehr schreiben können. Das wäre im Grunde genommen ein Tweet. Soviel also zur wesentlichen Tiefe, die meiner Arbeit fehlte, einfach weil ich explizit in meiner Arbeit nicht nur von Männern schreiben wollte.

Mir war klar, dass ich das meinem Betreuer so mitteilen wollte.

Mitteilen musste.

Ich schrieb eine E-Mail, ich löschte sie wieder. (Sie war nicht gerade nett. Also wirklich so gar nicht. Und das hilft dann ja auch nicht.) Und ich schrieb eine zweite E-Mail, die ich bereits halb fertig hatte, als mich Wunderweißwas ablenkte. Ich vergaß, die E-Mail zu beenden, sie liegt noch immer in meinem Entwürfe-Ordner, dort habe ich sie heute gefunden. Anders als im Sommer überkam mich diesmal aber eher ein Gefühl der Resignation. Ihm jetzt noch zu schreiben wäre natürlich eh etwas seltsam, aber dieses Gefühl irritierte mich enorm. Warum Resignation und nicht erneut das Gefühl von Ungerechtigkeit, von Wut und Enttäuschung?

Eine ellenlange Intro für ein wichtiges Gefühl

Diese Geschichte ist nur eine von vielen (und leider ist sie sehr lang, danke fürs Lesen), die ich selbst erlebe oder von anderen erzählt bekomme. Dabei haben sie alle einen gemeinsamen Nenner: Das Gefühl von Kraftlosigkeit oder eben Resignation im Angesicht einer Ungerechtigkeit. Und als ich diese E-Mail heute wiederfand, war das Thema ungefragt wieder da. Ich hätte den Mund aufmachen (bzw. diese verfluchte E-Mail einfach abschicken) sollen.

Habe ich aber nicht.

Und das ist nicht geil, aber es ist okay. Es ist okay, nicht jeden Kampf zu führen. Aufklärungsarbeit ist wichtig, andere darauf hinzuweisen, dass ihre Meinung leider nicht zur Problemlösung beiträgt, ebenfalls. Aber es ist eben auch okay, wenn uns dazu mal die Energie fehlt. So wie mir an manchen Tagen. So wie uns allen hin und wieder. Niemand erwartet, dass wir mit unseren kleinen Beiträgen, die wir leisten, die Welt wirklich jeden Tag ein Stückchen besser machen. Manchmal ist es auch okay, eine Situation scheiße zu finden und keine Lösung zu haben. Sich aus einer Diskussion zurückzuziehen oder eben gar nicht erst einzubringen.

Wir vergessen das nur viel zu oft.

Wenn Du das also liest und es Dir mitunter genauso geht, Du Dich in Situationen wiedergefunden hast, in denen Du entgegen aller Vorsätze keine Kraft hattest, Dich einzubringen oder etwas richtig zu stellen: Es ist okay. Absolut okay. Und danke, dass Du es wieder tust, wenn Du selbst die Energie dafür hast.

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