Es gibt Bücher, die machen es ihren Lesenden nicht leicht, sie zu lesen. Nicht weil sie schlecht sind, im Gegenteil. Weil sie einfach ein bisschen zu viel sind. Zu schonungslos ehrlich, zu menschlich, zu wort- und bildgewaltig. Für mich ist “Schwierige Frauen”*, das neue Buch von Roxane Gay, ein solches Buch. Verpackt in ein hübsches Hardcover und mit einem vielversprechenden Klappentext versehen, ist die Kurzgeschichtensammlung eine ungemein realistische und zugleich abwegig fantastische Hommage an die Menschlichkeit. Grausam schön, herrlich poetisch und eben auch immer ein bisschen zu viel.
Die 21 Kurzgeschichten sind dabei ähnlich brutal ehrlich, wie ihre vorangegangenen Veröffentlichungen. Roxane Gay erzählt darin von Schwarzen Frauen und weißen Frauen, Müttern und Schwestern, Wissenschaftlerinnen, armen und reichen Frauen, privilegierten und weniger privilegierten Frauen. Sie schreibt von Ursache-Wirkung und nimmt in kein Blatt vor den Mund, während sie tief in ihre Protagonistinnen reinkriecht, deren Welten auseinander nimmt – und längst nicht alle wieder zusammen setzt.
Ein lautleises Buch wie ein Feuerwerk mit Ohropax
Das Buch ist eine schwere Kost, die Geschichten allesamt nicht leicht zu verdauen, aber das wollen sie auch sein. Die unaufgeregte fast schon poetische Erzählweise (Anne Spielmann ist hier für btb eine wundervolle Übersetzung gelungen!) von Roxane Gay geleitet geradezu lautleise durch jede einzelne dieser Geschichten. Bei keiner von ihnen ist ein Happy End garantiert, viele Geschichten bleiben am Ende so offen, dass ich unmöglich weiterlesen konnte und erst verdauen musste, was da gerade auf den Seiten geschrieben stand.
Brutal und echt – das sind die ersten Worte, die mir in den Sinn kommen. Die Autorin klammert nichts aus, erzählt über Misshandlungen, Frauenhass und Abhängigkeiten, über die Beziehungen ihrer Protagonistinnen zu Familie, Männern und ihren Jobs. Sie schreibt von Rassismus und Diskriminierung, gibt den unterschiedlichsten Problemen unserer Zeit einerseits sensibel eine Plattform, geht dabei aber keineswegs zimperlich mit ihren Lesenden um. Dieses Buch zu lesen ist wie ein Feuerwerk mit Ohropax zu sehen: Ich fühlte mich den Erzählungen so erschreckend nah und gleichzeitig weit weg, da sie mich gewollt unsanft aus meiner Komfortzone gerissen haben.
“Schwierige Frauen” ist ein Buch ohne Tabus
Mitunter wäre mir eine Triggerwarnung lieb gewesen, doch in diesem Buch werden so viele Dinge behandelt, es wäre kaum möglich gewesen, das umzusetzen. Die Lesenden blicken in unterschiedlichste Köpfe, erfahren Leid und Verlust genauso wie ohnmächtige Angst und Wut. Aber immer auch ein bisschen Hoffnung – die in einigen Geschichten nur besonders gut versteckt ist.
Weder bei ihren Beschreibungen noch bei den Themen und schon gar nicht bei den zum Teil sehr expliziten Darstellungen zwischenmenschlicher Aktionen kennt Roxane Gay Tabus. Und so ist dieses Buch vor allem eines: Ein ehrliches Sammelsurium der Geschichten unterschiedlichster Frauen, die ihr Leben gehen.
Klappentext von “Schwierige Frauen”*
“Diese Frauen kämpfen, diese Frauen geben nicht auf. Diese Frauen sind unsere Gegenwart: arm, reich, schwarz, weiß, sie sind Ehefrauen, Mütter, Wissenschaftlerinnen, Nachbarinnen, Verbrecherinnen, Liebende, Mächtige, von Gewalt Heimgesuchte. Das Schwesternpaar, das seit ihrer gemeinsamen Entführung als Kinder unzertrennlich ist. Die Frau, die mit einem Zwilling verheiratet ist, der manchmal von dessen Bruder ersetzt wird. Die Stripperin, die aufs College geht, und die schwarze Ingenieurin, die ihre Vergangenheit nicht vergessen kann: Sie alle sind gleichzeitig zu viel und zu wenig. Wir sind wie sie und geben nicht auf.” (Quelle: Verlagsangaben)
Roxane Gay schreibt nicht für “schwache Nerven”
“Schwierige Frauen” ist kein Buch für einen Abend. Es ist teilweise so aufwühlend und tiefsinnig, mitunter sogar abstrakt, dass jede Geschichte weit mehr Aufmerksamkeit fordert, als ich es gewohnt bin. Dieses herrliche Buch ist ein Schatz, den man immer wieder stückchenweise liest und dabei nicht anders kann, als diese Frauen zu bewundern, mit ihnen zu leiden, an ihnen zu wachsen.

Titel: Schwierige Frauen (Original: “Difficult women”)*
Autorin: Roxane Gay
Formate: Hardcover und eBook
Erschienen am 9. November 2021 bei btb, übersetzt von Anne Spielmann
ISBN: 978-3-442-75916-3
Kurzmeinung: Ein Buch, das sprachlos zurücklässt. Es ist mitreißend, eigentlich viel zu heftig und ehrlich überfordernd. Gleichzeitig so zart und voller Selbstbestimmung. “Schwierige Frauen” bringt zum Weinen, es zerstört und ist gleichzeitig so voller Hoffnung. Wer sich auf dieses Buch einlassen kann und will, erhält hier eine Sammlung tiefsinniger und wundervoller Kurzgeschichten.
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* Das Rezensionsexemplar von “Schwierige Frauen” wurde mir freundlicherweise von der Verlagsgruppe Penguin Randomhouse kostenfrei zur Verfügung gestellt. Dies hat meine Meinung jedoch nicht beeinflusst.
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